Politische Konfrontation oder Freispruchverteidigung?

Zu Strategien in politischen Strafverfahren gegen Antifaschist*innen. Diese Überlegungen sollen anhand der Erfahrungen im ersten „Antifa-­Ost-Prozess“ beim Oberlandesgericht (OLG) Dresden vorgenommen werden.

Original im AIB: https://antifainfoblatt.de/aib140/politische-konfrontation-oder-freispruchverteidigung

Vor allem anderen muss an dieser Stelle betont werden: Die Diskussion, gegebenenfalls auch die kritische Würdigung von Prozessstrategien in einem Strafverfahren, kann immer nur abstrakt erfolgen. Als Beobachtende kennen wir immer nur einen Teil von allem: einen Teil der Akten, einen Teil der Hintergründe, einen Teil der Ängste und Abgründe, die ein größeres Strafverfahren bei allen Beteiligten auslöst.

Es soll hier also nicht darum gehen, Angeklagte oder gar verurteilte Antifaschist_innen für ihr Prozessverhalten zu kritisieren, sondern darum, für zukünftige Prozesse nach Möglichkeiten zu suchen, die zukünftig Angeklagten mehr Handlungsoptionen liefern, deren Entscheidungsmöglichkeiten auszuweiten. Die in diesem Beitrag vorgenommenen Zuspitzungen sollen auch nicht bedeuten, dass es nur einen möglichen Weg gibt.

Die nachfolgenden Überlegungen sollen anhand der Erfahrungen im ersten „Antifa-­Ost-Prozess“ beim Oberlandesgericht (OLG) Dresden vorgenommen werden. Dieser Prozess wurde in der Öffentlichkeit überwiegend über die Person „Lina E.“ wahrgenommen. Diese Beschuldigte wurde bereits frühzeitig, durch die Inszenierung ihrer Verhaftung inklusive Hubschraubertransport nach Karlsruhe, zur gemeingefährlichen Anführerin einer kriminellen Vereinigung stilisiert.

Bis zu diesem Zeitpunkt war noch nicht sicher, ob dieses Strafverfahren später beim Staatsschutzsenat eines Oberlandesgerichts oder „nur“ bei einer Staatsschutzkammer eines Landgerichts durchgeführt werden würde, es war nicht klar, wie viele Personen angeklagt werden würden und es war noch nicht einmal klar, wie viele Straftaten den Beschuldigten in einer Anklage vorgeworfen werden würden.

Der Generalbundesanwalt nahm all dies vorweg und inszenierte – jedenfalls in der Außenwirkung seines Vorgehens in der Öffentlichkeit – frühzeitig ein „Terrorverfahren“. Obwohl letztlich „nur“ wegen einer kriminellen Vereinigung und gefährlichen Körperverletzungen angeklagt und verurteilt wurde, wurde damit ganz bewusst der (polizeilichen) Beurteilung von Antifas als kriminell und potentiell terroristisch Vorschub geleistet.

Verurteilungen wegen § 129 StGB: Neuland für die antifaschistische Bewegung

Verfahren gegen Antifa-Gruppen wegen Paragraph 129 StGB, der Bildung einer kriminellen Vereinigung (damals noch alte Fassung), wurden gegen die Göttinger Antifa M und Antifas aus Passau in den 90ern und im Jahr 2000 eingestellt. Spätestens seit 2009 führte das LKA Sachsen Ermittlungsverfahren gemäß Paragraph 129 StGB gegen Personen, die verdächtig waren, die erfolgreichen Massenblockaden gegen Neonazi-Demonstrationen in Dresden mitorganisiert zu haben. Die Verfahren dienten zur Ausforschung weiter Teile der Szene, eine Anklage erfolgte nicht.

In den vergangenen zehn Jahren gab es immer wieder Vorstöße, insbesondere von den Landeskriminalämtern (LKA) Hamburg und Sachsen, der Generalbundesanwalt (GBA) solle Verfahren gegen autonome, anarchistische und antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen als Verfahren gemäß § 129 bzw. 129a StGB an sich ziehen.

Die LKAs hofften darauf, einerseits eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit und die Delegitimierung von Antifas als terroristisch zu erzielen, rechneten aber auch eine höhere Verurteilungswahrscheinlichkeit bei den für Staats­schutzsachen geschaffenen Sondergerichten bei den Oberlandesgerichten. Diese Staatsschutzsenate zeigen ja beispielsweise in den fortlaufend geführten Verfahren gegen kurdische und türkische Linke, dass sie die ihnen zugedachte Aufgabe, den Staat zu schützen, ohne kritische bzw. vom politisch erwarteten Ziel abweichende Entscheidungen erfüllen.

Generalbundesanwalt: Politisierung des Verfahrens von Anfang an

Die Entscheidung des GBA, das sogenannte „Antifa Ost-Verfahren“ zu übernehmen, den Transport nach Karlsruhe in der beschriebenen Weise zu inszenieren, war also bereits eine politische Entscheidung, jetzt mit einer großen Inszenierung einen „Schlag“ gegen militante Antifaschist_innen und letztlich einen Angriff auf die antifaschistische Bewegung an sich durchzuführen. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der GBA dieses Verfahren politisch führen würde.

Dieses Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden wurde begleitet durch eine massive Manipulation der Medien. Umfangreiche Aktenbestandteile wurden fortlaufend an rechtsoffene und (extrem) rechte Medien durchgestochen. Bedacht wurden Medien, bei denen sicher war, dass sie eine reißerische Darstellung der angeblich so gemeingefährlichen Antifas vornehmen würden.

Die „Welt“ und Jürgen Elsässers „Compact“ konnten mit Originalmaterial, Fotos und Ermittlungsdetails aufwarten, die teilweise noch nicht einmal der Verteidigung vorlagen. Die zuständigen Behörden zeigten kein wirkliches Interesse daran, herauszufinden, wer hier fortlaufend Akten herausgab.

Die ersten Festnahmen erfolgten im Dezember 2019 in direktem Zusammenhang mit dem Überfall auf die von Neonazi Leon Ringl betriebene Gaststätte ,,Bull‘s Eye“. Hierbei handelte es sich um den Neonazitreffpunkt der Gruppe „Knockout 51“, gegen die gerade beim OLG Jena verhandelt wird und der der GBA vorwirft, „spätestens seit April 2021 … auf die Tötung von Personen der linksextremen Szene“ hingearbeitet zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, ob Polizei und Staatsanwaltschaft diesen Überfall in Zusammenhang mit anderen Übergriffen auf Neonazis bringen würden. Alle Festgenommenen wurden zeitnah wieder freigelassen. Erst beinah ein Jahr später, im November 2020, wurde mit der Festnahme der angeblichen Rädelsführerin und dem Haftbefehl des Generalbundesanwalts deutlich, dass der GBA sich entschieden hatte, einen Musterprozess gegen die militante Antifa-Bewegung in Ostdeutschland durchzuführen.

Öffentlichkeitsarbeit und Prozesstaktik von Beschuldigten und Soliszene: juristisch und politisch defensiv

Die Öffentlichkeitsarbeit auf Seiten der antifaschistischen Bewegung war – im Gegensatz zu der offensiv-politischen Herangehensweise der Strafverfolger – nach dieser Festnahme defensiv.

Gewollt oder ungewollt wurde die Hauptbeschuldigte zur unschuldig Verfolgten stilisiert, als ob sie sich von militanter antifaschistischer Intervention distanzieren würde. Diese unsichere und defensive Herangehensweise konnte nicht überwunden werden. Dies war natürlich auch dadurch verursacht, dass das Outing gegen den Mitbeschuldigten Domhöver am 21. Oktober 2021 die Angeschuldigten, aber auch die Soli-Strukturen ins Mark erschütterte. Dies wurde noch verstärkt dadurch, dass Domhöver spätestens ab April 2022 als Kronzeuge Aussagen machte und die Anklage des GBA, wie von ihm erwartet, vollständig bestätigte.

All dieser Ärger darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Öffentlichkeitsarbeit der Beschuldigten und der Soli-­Gruppen zwischen der Festnahme im November 2020, der Anklageerhebung im Mai 2021 bis zum Outing Domhövers im Oktober 2021 im Wesentlichen auf die Behauptung, die Beschuldigten seien unschuldig, der GBA könne den Beschuldigten die Taten nicht beweisen und der GBA wolle mit dem Verfahren die antifaschistische Bewegung angreifen, beschränkte. Bis zum Ende des Prozesses hat sich an dieser Strategie, jedenfalls im Gerichtssaal, nichts geändert.

Während des gesamten Prozesses gab es beispielsweise keine Stellungnahme oder Antrag, mit dem militanter Antifaschismus verteidigt und die Notwendigkeit auch der angeklagten Aktionen dargestellt wurde. Beispielsweise die Angriffe auf den Treffpunkt der Gruppe „Knockout 51“, das von Leon Ringl betriebene „Bull‘s Eye“, der Überfall auf die sich auf dem Rückweg von der Demonstration in Dresden anlässlich des 75. Jahrestags der Bombardierung befindlichen Neonazis am Bahnhof Wurzen, oder der Überfall auf Cedric Sch., einen aktiven Neonazi, der bestens vernetzt in die starke und oftmals gewalttätige rechte Szene Wurzens und darüber hinaus ist.

Diese Aktionen waren zuvor innerhalb der antifaschistischen Bewegung überwiegend positiv aufgenommen worden. Die Gefährlichkeit der betroffenen Neonazis, die Weigerung staatlicher Stellen gegen diese Neonazis vorzugehen, die dazu führte, dass Menschen, die von Neonazis als Gegner begriffen werden in Eisenach oder Wurzen kein sicheres Leben führen konnten, wurden nicht thematisiert. Insbesondere hätte dargestellt werden können, dass antifaschistische Selbsthilfe notwendig und Nothilfe ist, die auch geeignet ist, Neonazi-Aktivitäten zu begrenzen und zurückzudrängen.

Andererseits war auch klar, dass der GBA und das Gericht gerade die antifaschistische Selbsthilfe massiv angreifen und delegitimieren würden. Diesen politischen Angriffen setzten sich die Angeklagten ohne jegliche inhaltliche Gegenwehr aus. In der Presseerklärung zur Urteilsverkündung schreibt das OLG zu dieser Thematik:

„Bei seiner Bewertung der Taten hat der Staatsschutzsenat hervorgehoben, dass das staatliche Gewaltmonopol jede Form von Selbstjustiz ausschließe. Die Begehung von Straftaten lasse sich in einem Rechtsstaat nicht mit vermeintlichen politischen Zielsetzungen rechtfertigen.“

Das zeigt, dass genau dies einer der zentralen Angriffspunkte hätte sein müssen, um die Legitimität des Gerichts und der zu erwartenden Strafe in Frage zu stellen. Hätte die Verteidigung ihre gesamte Kraft dazu verwendet, deutlich zu machen, dass der Staat bewusst organisierte Neonazis gewähren und damit die Betroffenen neonazistischer und rassistischer Gewalt im Stich lässt, hätte das Gericht einen viel größeren Begründungsaufwand für diese zentrale Begründung der Notwendigkeit einer harten Strafe gehabt.

Hierzu wäre es auch notwendig gewesen, alle angeblich verletzten Neonazis in ihrer Funktion und mit ihren Aktivitäten darzustellen, um zu begründen, dass hier Menschen angegriffen wurden, die jederzeit in ihrem Lebensumfeld eine Gefahr für die Menschen darstellen, die sie als Gegner begreifen. Nicht zuletzt wäre es notwendig gewesen, mit Anträgen und Erklärungen die Kontinuität des staatlichen Vorgehens gegen militante Neonazis seit dem NSU darzustellen:

Als Problem und Störenfriede werden Nichtdeutsche, Geflüchtete, Mitglieder linker Subkulturen und Antifaschist_innen angegangen und in ihren Aktivitäten behindert. In der Wahrnehmung von Polizei und Staatsanwaltschaften sind es diese Menschen, die „Ärger machen“ und „Unruhe stiften“. Neonazis, auch gewalttätige und solche, die gezielt militante Politik entwickeln, werden dagegen in Ruhe gelassen, man lässt sie gewähren, so lange sie nur „Zecken“ und „Asylbewerber“ terrorisieren, die ja von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt werden. Das bedeutet rassistische und diskriminierende Ermittlungen, Schikane gegen die Betroffenen von Neonazigewalt und damit eine Stärkung der Neonazis vor Ort.

Auch Anträge in diese Richtung wurden nicht gestellt. Die Verteidigung arbeitete sich, prozessual sogar ziemlich erfolgreich, an den Fehlern und Tricks von Polizei und GBA ab. Sie grub entlastendes Material aus, das nicht offen in den Prozess eingebracht wurde, und widerlegte abenteuerliche Thesen der Ermittlungsführer.

Diese Verteidigung in der Hauptverhandlung führte dazu, dass zwei Angeklagte neben anderen Verurteilungen nicht wegen Mitgliedschaft, sondern nur wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurden. Lina E. wurde nicht wegen Rädelsführerschaft, sondern nur wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt, und sie musste von dem Vorwurf der Beteiligung an zwei der vorgeworfenen gefährlichen Körperverletzungen freigesprochen werden.

Die Höhe der verhängten Strafen, Haftstrafen zwischen 5 Jahren 3 Monaten und 2 Jahren 5 Monaten macht allerdings deutlich, dass diese juristischen Erfolge keine großen Auswirkungen hatten. Mag auch der GBA deutlich höhere Strafen – insbesondere für Lina E. – gefordert haben, so sind die Strafen insgesamt so hoch, dass offensichtlich das Strafmaß unabhängig von einzelnen Fällen bereits feststand.

Noch höhere Strafen wären in breiten Teilen der Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar gewesen und hätten dazu geführt, dass der gesamte Prozess in Frage gestellt worden wäre. Dies insbesondere auch, weil viele im öffentlichen Bewusstsein vorhandene Verurteilungen von Neonazis deutlich niedriger ausgefallen sind.

Das Gericht hat abschreckend und einschüchternd hohe Strafen verhängt, weil ein Exempel gegen antifaschistische Selbsthilfe, gegen militanten Antifaschismus gesetzt werden sollte. Dieser Vorgabe folgend war es dem Gericht schließlich egal, ob es wegen einzelner Straftaten freisprechen musste. Diese Teilfreisprüche benutzte der Senat ansonsten dazu, der Öffentlichkeit zu beweisen, wie rechtsstaatlich er ist.

Das ewige Dilemma: „politische Verteidigung kann zu höheren Strafen führen“

Jede politische Verteidigung, also die Verteidigung auch der vorgeworfenen Taten als politisch richtig, in der Wirkung verhältnismäßig und moralisch gerechtfertigt, birgt zunächst einmal die Gefahr, dass sie als Geständnis gewertet wird. Warum sollte eine Person, welche die vorgeworfene Tat nicht begangen hat, diese rechtfertigen? Dieses Dilemma ist nicht aufzulösen.

In einer Situation, in der eine Verurteilung klar zu erwarten ist, weil beispielsweise eine Person auf der Flucht von einem Überfall auf eine Neonazikneipe festgenommen wird, oder auch, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht offensichtlich verurteilungswillig sind, mag es hierauf gar nicht ankommen. Das vorliegende Urteil zeigt ja, dass die juristische Verteidigung ihr Ziel gar nicht erreichen konnte, weil das Ergebnis, hohe Strafen zur Abschreckung antifaschistischer Selbsthilfe und Selbstorganisation, bereits vorher feststand.

Politische Prozesse sind aber immer auch Orte, an denen gesellschaftliche Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Wäre es gelungen, das Gericht politisch und moralisch unter Druck zu setzen und die Legitimität der Anklage in Frage zu stellen, und dieses in der Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit festzuschreiben, hätte dies eine Chance geboten, den politisch-juristischen Angriff, dessen erste Speerspitze der Prozess darstellt, abzuwehren oder zumindest abzubremsen. Diese Chance wurde nicht ergriffen.

Ob in einem der nachfolgenden Prozesse angesichts der bis dahin geschaffenen juristischen Ausgangslage ein solcher Frontalangriff auf die nächste Anklage möglich ist, ist heute unklarer denn je.

Die antifaschistische Szene in Thüringen und Sachsen ist schwer angeschlagen und durch die ausufernden Ermittlungsverfahren unter Druck. Die breitere (liberale) Öffentlichkeit, die an der Unschuldsthese festgehalten hat, ist durch die Schilderung und Visualisierung der Folgen der angeklagten Taten, also Kopfverletzungen, Blut und Dreck, leicht zu verunsichern und distanziert sich eher von Gewalt. Eine breiter angelegte offene Diskussion über die Notwendigkeit handfester antifaschistischer Politik scheint im Moment nicht möglich.

Die antifaschistische Bewegung muss sich klar machen, dass in Prozessen wie dem beschriebenen die verhängte Strafe nicht an der „Schuld des Angeklagten“ festgemacht wird, sondern an der Wahrnehmung der Tat in der Öffentlichkeit. Die Verteidigungsstrategie kann sich dies zu Nutze machen. Dies bedeutet dann aber gegebenenfalls einen Bruch mit den bekannten Prozessstrategien, den Verzicht auf die Arbeit mit den normalen Mitteln der Strafprozessordnung.

Um eine solche Prozessführung umzusetzen, muss allerdings bei den Beschuldigten/Angeklagten und ihren Unterstützer_innen eine klare politische Einschätzung vorhanden sein, welche die Hoffnung auf prozessuale Erfolge und ein verständiges Gericht aufgibt und ihre Kraft aus der politischen Auseinandersetzung zieht, die außerhalb des Gerichtssaals geführt und dann in den Gerichtssaal hineingetragen wird.

Ob eine solche Prozessführung überhaupt möglich ist, entscheidet im Wesentlichen die antifaschistische Bewegung, welche die politischen Voraussetzungen dafür schaffen und den Beschuldigten/Angeklagten Unterstützung und Halt geben muss, ob vor oder während eines Prozesses, in Haft oder in der Anonymität.